Digitale Souveränität ist längst mehr als nur ein Schlagwort – sie ist eine strategische Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit Europas. Sie bedeutet, die Kontrolle über Daten, Technologien und digitale Infrastrukturen zu behalten. In einer Zeit geopolitischer Spannungen und wachsender Abhängigkeit von globalen Hyperscalern stellt sich die zentrale Frage: Wer kontrolliert die digitale Zukunft?
Globale Perspektive und europäische Herausforderung
Digitale Souveränität ist ein geopolitisches Thema. Die großen Wirtschaftsräume verfolgen unterschiedliche Ansätze: Die Vereinigten Staaten setzen auf ein marktorientiertes Ökosystem, dominiert von privaten Tech-Giganten, während China digitale Autarkie als strategisches Sicherheitsziel betrachtet. Europa hingegen muss den Anspruch einer gemeinsamen Strategie mit einer fragmentierten institutionellen Struktur in Einklang bringen. Unterschiedliche nationale Gesetzgebungen, kulturelle Unterschiede und heterogene Digitalisierungsgrade erschweren die Entwicklung einer einheitlichen Linie. Dennoch arbeitet die EU seit Jahren an einem Modell, das Innovation mit dem Schutz der Grundrechte verbindet und zugleich technologische Unabhängigkeit sichert.
Der Ansatz der EU: Investitionen und Regulierung
Die Europäische Union verfolgt einen integrierten Ansatz, der über eine reine Regulierung hinausgeht. Die Strategie kombiniert gezielte Investitionen und den Aufbau digitaler Kompetenzen mit der Entwicklung gemeinsamer Standards und Normen. Milliardenbeträge fließen in Schlüsselbereiche wie Halbleiter, Künstliche Intelligenz, Telekommunikation und Cloud-Infrastrukturen. Das Programm „Digital Europe“ stellt allein für den Zeitraum 2025 bis 2027 rund 1,3 Milliarden Euro für die Entwicklung kritischer Technologien bereit. Ergänzend dazu soll der Chips Act den europäischen Marktanteil an der globalen Halbleiterproduktion bis 2030 verdoppeln.
Ein starkes regulatorisches Fundament
Parallel zu den Investitionen hat die EU ein umfassendes Regelwerk geschaffen, um ihre digitale Autonomie zu stärken:
- Das Gesetz über digitale Märkte (DMA) begrenzt die Marktmacht großer Plattformen und sorgt für fairere Wettbewerbsbedingungen.
- Die KI-Verordnung (AI Act) definiert weltweit erstmals einen ethischen und risikobasierten Rahmen für den Einsatz Künstlicher Intelligenz.
- Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bleibt ein zentraler Pfeiler der digitalen Souveränität, indem sie die Prinzipien der Datenresidenz und des Datenschutzes festlegt.
- Mit dem Data Act wird die Portabilität von Daten gefördert und der Transfer in nicht konforme Drittstaaten eingeschränkt – ein weiterer Schritt zur Stärkung europäischer Kontrolle.
Cloud-Infrastruktur als Säule der digitalen Wirtschaft
Souveränität entsteht nicht allein durch Gesetze, sondern erfordert robuste, vertrauenswürdige Infrastrukturen. Cloud Computing ist das Fundament der modernen Wirtschaft, doch der europäische Markt ist stark konzentriert: Fast 90 Prozent liegen in den Händen von globalen Hyperscalern. Diese Abhängigkeit birgt Risiken für Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Interoperabilität und offene Standards sind daher entscheidend, um Lock-in-Effekte zu vermeiden und die digitale Resilienz Europas zu erhöhen.
Investitionen zur Stärkung der digitalen Fähigkeiten
Das Ziel der Europäischen Union ist nicht die technologische Autarkie. Stattdessen will sie ein Cloud-Ökosystem schaffen, das durch Offenheit und Interoperabilität den Wettbewerb fördert und zugleich eine stabile digitale Infrastruktur bietet, die mit europäischem Recht vereinbar ist. Interoperabilität ist dabei der einzige Hebel, um einenLock-in zu verhindern, der seit über einem Jahrzehnt die ausschließlich auf der Public Cloud basierenden Modelle prägt.
Die Risiken der Konzentration: Ein Weckruf für Europa
Der Ausfall von Amazon Web Services im Oktober 2025 hat die Verwundbarkeit globaler Infrastrukturen deutlich gemacht. Ein lokaler Ausfall in einem US-Rechenzentrum führte zu weltweiten Störungen bei Banken, Behörden und Industrie. Dieses Ergebnis zeigt, wie gefährlich es ist, wenn kritische Dienste und Daten unter der Kontrolle weniger Anbieter stehen. Europa muss die Cloud-Landschaft neu denken – verteilt, interoperabel und resilient.
Initiativen für eine souveräne Cloud
Um diese Ziele zu erreichen, setzt die EU auf strategische Projekte wie GAIA-X, das eine föderierte Cloud-Infrastruktur mit gemeinsamen Sicherheits- und Portabilitätsstandards schaffen soll, sowie IPCEI-CIS, das Investitionen in Cloud-Technologien und Services mobilisiert. Neben diesen institutionellen Initiativen entstehen auch private Projekte, die die europäische Vision unterstützen.
WIIT European Cloud als Säule der digitalen Souveränität
Ein Beispiel ist Cloud4Europe, eine von WIIT initiierte Plattform, die eine skalierbare und interoperable Cloud-Infrastruktur für kritische Workloads bereitstellt. Alle WIIT-Rechenzentren befinden sich in Europa, erfüllen Tier IV-Standards und sind vollständig DSGVO- und NIS2- konform. WIIT stellt somit sicher, dass sämtliche digitale Ressourcen, von den gespeicherten Daten über die ausgeführten Workloads bis hin zu den Anwendungen, ausschließlich dem Recht der Europäischen Union unterliegen. Gleichzeitig ermöglicht die Plattform Hybrid und Multi-Cloud-Strategien, die Flexibilität und Innovationskraft mit europäischer Governance verbinden. Ein weiterer Grundsatz ist der No-Lock-in-Ansatz: Durch den Einsatz von Open-Source-Technologien lässt sich maximale Interoperabilität und Portabilität gewährleisten.
Häufig gestellte Fragen
Wie lässt sich der Grad der digitalen Souveränität eines Unternehmens konkret messen?
Der Grad der digitalen Souveränität lässt sich anhand mehrerer Faktoren bestimmen: Datenkontrolle, Infrastrukturautonomie und die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften. Fortschrittliche Unternehmen führen regelmäßige Audits zu Datenresidenz, Interoperabilität und Anbieterabhängigkeit durch. Dazu verwenden sie Bewertungsmodelle für die Sovereignty Readiness, entwickelt von Forschungszentren wie dem Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) sowie von internationalen Analysten wie IDC. Diese Frameworks unterstützen Organisationen dabei, ihre Fähigkeit zur regelkonformen und souveränen Verwaltung von Infrastrukturen vollständig zu überwachen.
Welcher Zusammenhang besteht zwischen digitaler Souveränität und der Widerstandsfähigkeit der technologischen Lieferkette?
Digitale Souveränität stärkt die Widerstandsfähigkeit der Lieferkette, da sie die Gefährdung durch geopolitische und regulatorische Risiken von Lieferanten außerhalb der EU verringert. McKinsey betont, dass die lokale Kontrolle über Daten und IT-Infrastrukturen mittlerweile ein strategischer Faktor für die Betriebskontinuität und die Sicherheit von Unternehmen in den Bereichen Energie, Fertigung und Finanzdienstleistungen ist.
Wie wirkt sich digitale Souveränität auf die Auswahl von Cloud-Anbietern aus?
Unternehmen prüfen bei der Anbieterwahl, wo sich die Daten befinden, unter welcher Gerichtsbarkeit die Rechenzentren liegen und welche Interoperabilitätsstandards sie anwenden. Gartner empfiehlt einen souveränen Multi-Cloud-Ansatz, der Flexibilität und Compliance kombiniert, die technologische Bindung begrenzt und die operative Kontrolle über kritische Workloads aufrechterhält.